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36. Jahrgang InternetAusgabe 2002
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Daniel in die Löwengrube?

Sharon nach Beirut?

 

von David Hartstein

 

 Der Radiohörer hielt es im ersten Augenblick für eine Namensverwechslung des Nachrichtensprechers. Doch dann wiederum schien es ihm gar nicht so unwahrscheinlich – aber auch unerhört: Ariel Sharon will wieder nach Beirut. Nur er selbst, ohne Panzer und Bomber, lediglich mit dem makkabäischen Panzer gerüstet, den er ständig vor sich her trägt. Zum Gipfeltreffen der Arabischen Liga, bei dem die Friedensinitiative Prinz Abdullahs besprochen und präzisiert werden wird. Das verlautete der israelische Premierminister in einem Interview mit der Washington Post vom Samstag. Er selbst beabsichtigt, dort in Beirut vor den versammelten Staatsoberhäuptern und anderen Abgesandten seinen eigenen dreistufigen Friedensplan vorzutragen.

 Das ist ein blendender Einfall. Ungefähr so blendend wie die Granaten, mit denen Sondereinsatzkommandos bei der Erstürmung entführter Flugzeuge oder Gebäude sich selbst die absolute Initiative verschaffen und den Angegriffenen samt den Geiseln die absolute Lähmung aufzwingen. Daniel Sharon würde so überraschend in der Löwengrube Beirut bei den versammelten arabischen Gegnern Einzug halten wie Arik Sharons Truppen 1982 über den Libanon und die Palästinenserlager hergefallen sind.

 Dieser Vorschlag ist gewiß verwegen und soll mindestens Verwirrung, Streit und Lähmung ins beinahe schon einige arabische Lager tragen. In ihm hechelt aber auch die letzte Verzweiflung des makkabäischen Politikers Sharon. Sich öffentlich um das allerunwahrscheinlichste Ereignis in einer taktischen Initiative zu bemühen, bloß um noch die Initiative zu behalten, zeigt, daß Sharon mit allem, was er tut und befiehlt, nur noch im Casino lebt. Er kann nicht im Ernst annehmen, daß sich die amerikanische Diplomatie, die schon lange nicht mehr eine so eindeutige Ablehnung ihrer militärischen Planungen und Absichten einerseits, ihrer vagen und undurchdachten Zielsetzungen in Bezug auf die Zukunft des Irak und des Mittleren Ostens andererseits erfahren hat, einem solchen Va-Banque-Einfall gegenüber den arabischen Staaten Nachdruck verleihen könnte und wollte. Darum müßte sich schon die israelische Diplomatie selbst bemühen. Selbstredend verfügt das Sharon-Lager aber über keine diplomatischen Kanäle, um nur einem wohlwollenden arabischen Staat diesen Einfall plausibel zu machen. Jenes Israel hat die Meinung der arabischen Umgebung ja auch nie interessiert.

 Überdies wird wohl die arabische Liga keinen Militärbefehlshaber zu ihrem Treffen einladen, über dem bei einem europäischen Gericht eine Anklage wegen Kriegsverbrechen schwebt – Kriegsverbrechen gegen eben jene Glaubensgeschwister und Angehörige der arabischen Nation, gegen die Sharons Makkabäertruppen 1982 im Libanon und in eben diesem Beirut gewütet haben. Sie werden über die Möglichkeit eines Auftretens des israelischen Premierministers nicht einmal diskutieren – solange dieser Premierminister Sharon heißt.

 Gleichwohl wird ihnen aber auch nicht entgehen, daß Sharons Einfall in einer anderen Hinsicht blendend bleibt, weil er nolens volens auch eine zündende Idee zum Vorschein kommen läßt. Die Initiative des Prinzen Abdullah will, nach allem was die Öffentlichkeit darüber weiß, darauf hinaus, mit Israel einen allgemeinen Frieden zu schließen.  Darüber wollen die arabischen Staatslenker ernsthaft und mit Aussicht auf Verwirklichung beraten. Dann aber könnte es der Klarheit und vor allem der Abschwächung wechselseitiger Bedrohungs- und Verfolgungsvorstellungen nur dienlich sein, wenn ein Abgesandter des Staates Israel, den man ja als arabische Liga in den Grenzen vom Juni 1967 anerkennen zu wollen scheint, zu Anfang des Treffens den arabischen Nachbarn die Belange der israelischen Sicherheitsbedürfnisse so deutlich wie möglich darlegt und dabei zugleich den Versuch unternimmt, Israels Staatlichkeit als eine innerhalb der gesamten nahöstlichen Umgebung und nicht gegen diese Umgebung, sie dabei leugnend und verleugnend, zu bestimmen. Freilich könnten die Staaten der arabischen Liga ein solches feierliches Plädoyer für Israel nur zu Beginn ihres Treffens akzeptieren, weil Israel ansonsten keine Teilnahmeberechtigung an solchen Treffen hat und eine ständige Anwesenheit einer auch nur kleinen israelischen Abordnung nur störend und als Diversion wirken würde.

 Aber es wäre schon eine wünschenswerte Geste zu direkter, nicht durch Dritte vermittelter Positionsbestimmung, wenn sich die arabische Nation Israels Stimme unmittelbar, unverstellt und womöglich ohne propagandistische Übertreibungen auf dem Forum ihres wichtigsten Vertretungsorgans anhören und dabei vor den Augen und Ohren der Weltöffentlichkeit demonstrieren würde, daß sie mit Israelis auch »offiziell« wie 1994 in Casablanca über einen möglichen allgemeinen Frieden und einen neuen Nahen Osten sprechen kann.

 Vor zwanzig Jahren hat Nahum Goldmann, beteiligt an der Gründung zweier Staaten, Israels wie der Bundesrepublik Deutschland, eine Schrift wiederveröffentlicht (»Reisebriefe aus Palästina« ), in der der gerade eben dem deutschen Gymnasium entwachsene träumerisch-idealistische Jüngling in den Jahren 1913/14 seine Erlebnisse und Träume von einer authentischen Heimat der Juden in der Landschaft ihrer geistig-religiösen Geburt einer vermutlich neugierig und zugleich hoffnungsfroh gestimmten Lesergemeinde des »Frankfurter Israelitischen Familienblatts« berichtete.

 Das Nachwort zu dieser Neuausgabe der Reiseberichte verfaßte er etwas mehr als ein halbes Jahr bevor israelische Truppen unter dem Befehl von Ariel Sharon im Libanon einmarschierten; er kam zu einem ernüchterten, gleichwohl noch lange nicht verzweifelten Fazit seiner Nachbetrachtung:

Von den Idealen der Generation, die die Grundlagen Israels gelegt und die attraktiven Aspekte des Zionismus zu verwirklichen begonnen hat, ist nur sehr wenig übriggeblieben. Wenn das, was man die Assimilation des Zionismus an die nichtjüdische Umwelt nennen kann, fortdauert und Israel weiter bei seiner Feindseligkeit gegen die Araber, seiner Isoliertheit in der Welt, seiner wachsenden ökonomischen Krise und seiner Konzentration auf Sicherheit und Verteidigung bleibt, dann wird das in kurzer Zeit zu einer Entstellung des zionistischen Gedankens und einer Verfälschung seiner Ideale führen müssen.

Ich gehöre nicht zu denen, die diese Entwicklung für unvermeidlich halten, sonst müßte ich den größeren Teil meines Lebenswerkes - und das von Hunderten meiner Mitarbeiter und Freunde - als gescheitert betrachten. Ich glaube im Gegenteil, daß noch immer die Möglichkeit besteht, eine Änderung der Situation herbeizuführen, wenn ich auch fürchte, daß diese Änderung weniger von einer inneren Neubesinnung als von einem Druck von außen kommen wird. Die erste Voraussetzung dafür ist, einen totalen Frieden mit der arabischen Welt herbeizuführen und dadurch dem israelischen Volk eine gesicherte Existenz zu ermöglichen, wahrscheinlich mit einigen Änderungen in den Grenzen Israels vor dem Sechstagekrieg.

 Wäre es auch nur Träumerei, wenn jemand für möglich hielte, daß ein Vertreter Israels mit dieser bescheidenen Weisheit im Gepäck nach Beirut reisen könnte, es wäre dennoch eine Einladung wert.